Große Gilde (St. Marien-Gilde) zu Riga
Die Große Gilde zu Riga bildete den Zusammenschluß der Kaufleute (im Gegensatz zur Kleinen oder St. Johannis-Gilde, dem Zusammenschluß der Handwerker). Sie gab sich 1354 die ersten Schragen, ging aber auf die schon im 13. Jh. nachweisbare Heilig-Kreuz-Gilde zurück und nahm ihr Domizil in der Gildestube von Münster (mit baulichen Veränderungen bis ins 20. Jh.). Die Große Gilde regelte in ihren Schragen die Pflege der Geselligkeit, des wohlanständigen Zusammenlebens, der Trinkgelage, der Wohltätigkeit und des Seelenheils, war und blieb bis zum Schluß eine Korporation privatrechtlichen Charakters zur Pflege der Gemeinschaft, der gegenseitigen Unterstützung und des allgemeinen Besten. Beide Gilden repräsentierten seit dem Spätmittelalter die Stadtgemeinde. Seit dem 17. Jh. nahmen sie das alleinige Recht in Anspruch, in Riga Handel zu treiben und das Handwerk auszuüben, sie erscheinen somit als Korporationen, die als solche berufsständische Interessen vertreten (Dopkewitsch). Die Große Gilde war so allmählich neben dem Rat der Stadt und der Kleinen Gilde eine der drei entscheidenden politischen Körperschaften Rigas geworden und hielt diese Stellung bis zur ersten Stufe der Russsifizierung 1877/1878, unterbrochen nur durch die Zeit der Statthalterschaftsverfassung (1785-1796) Katharinas II. Danach bestanden die Große und die Kleine Gilde als privatrechtliche Korporationen (ohne politische Rechte) weiter. Nach den neuen lettischen Gesetzen mußten sie sich 1923 als Vereine mit überwiegend kulturellen und gemeinnützigen Zielsetzungen konstituieren. 1935/1936 wurden die Gilden per Gesetz aufgehoben und ihr Eigentum verstaatlicht [vgl. ferner die Beschreibung der Bestände DSHI 510 u. 520].
Der Bestand gelangte durch die Ergebnisse der deutsch-lettischen Kulturgüterverhandlungen 1940 nach Deutschland. Da insgesamt drei Bände zur Ausfuhr freigegeben worden waren, muß ein Band als Verlust beklagt werden; die übrigen beiden kamen 1952 ins Herder-Institut. Über das in Lettland verbliebene Material vgl. enš: Iz istorii archivnogo dela, S. 29. Vgl. DSHI 520 Große und Kleine Gilde.
Bruderbuch der Großen Gilde 1558-1727; Ältermannsbuch [1520] 1654-1932.
Literatur: Eugen Blumenbach: Die Gemeinde der Stadt Riga in 700 Jahren 1201-1901, Riga 1901, S. 5-29; Friedrich A. Richter: Haltung, Sitte und Brauch im Leben der Grossen Gilde zu Riga, in: Baltische Monatsschrift, 36 (1936), H. 1, S. 1-8; Helene Dopkewitsch: Die Grosse Gilde zu Riga, in: ebd., S. 8-24; Die Gilden zu Riga [Sonderdruck aus der Rigaschen Rundschau], Riga 1936; Die Gilden in Riga [vornehmlich zur Schließung 1935], in: Nation und Staat, 9 (1936), S. 282-288; J. Straubergs: Rīgas Lielā un Mazā ģilde [Rigas Große und Kleine Gilde], in: ders.: Rīga, S. 218-240; Clara Redlich: Das älteste Riga und die Stuben zu Münster und Soest, in: ZfO, 37 (1988), S. 555-580; Heinz von zur Mühlen, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 7 (1995), Sp. 845 f.; Thomas Brück: Zwischen ständischer Repräsentanz und Interessenkonflikten - Bemerkungen zur Entwicklung der Großen Gilde in Riga im ersten Drittel des 15. Jahrhunderts, in: Genossenschaftliche Strukturen in der Hanse. Hrsg. von Nils Jörn, Detlef Kattinger und Horst Wernicke, Köln u.a. 1999, S. 239-271. |